Am Abend des 15. September 1981 machte sich Ursula Herrmann (10) mit ihrem roten Fahrrad auf den Heimweg zu dem Elternhaus in Eching am Ammersee. Sie wurde entführt und 19 Tage später tot in einer vergrabenen Kiste im Wald aufgefunden.

In den 60er Jahren nahm die Zahl der Kindesentführungen in Deutschland stetig zu. Es handelte sich um Einzeltäter, meist Gelegenheitskriminelle, die Schulden hatten oder persönliche Krisen durchlebten. Zu Beginn der 70er Jahre verlagerten sich Entführungsdelikte mehr und mehr auf reiche oder prominente Erwachsene und auch deren Kinder, da hohe Lösegeldsummen lukrativer erschienen. Durch diese Schwerpunktverschiebung wurden Kindesentführungen Anfang der 1980er zu einer seltenen, aber realen Gefahr.

🔗 Die Entführung von Cornelia Becker
Am Morgen des 3. November 1980 brachte der Volkswirt Günther Adler (* 1933) die elfjährige Cornelia, Tochter des Lackfabrikanten Peter Becker, in seine Gewalt. Da Becker zu seinen Kunden gehört hatten, wusste er um die Vermögenswerte der Familie.
Adler passte Cornelia auf dem Schulweg in Karlsruhe ab, zwang sie, in sein Auto einzusteigen, und brachte sie in den Aktenkeller seines Büros. Dort erschlug er das Kind sofort von hinten mit einem Hammer. Kurz danach wandte er sich anonym in einem Erpresserschreiben an die Eltern und forderte ein Lösegeld in Höhe von 2 Millionen DM.
In den folgenden Wochen kontaktierte er sie immer wieder, erst brieflich, dann auch telefonisch. Er wiederholte die Forderung und teilte Modalitäten zur Übergabe des Lösegeldes mit. Sein letztes Schreiben erhielten die Beckers am 27. November 1980. Ihre Bitten um ein Lebenszeichen wies Adler zurück
Die Leiche verwahrte er knapp zwei Wochen lang in seinem Keller, um sie dann in einem Plastiksack in einen Wald bei Karlsruhe zu schaffen und zu vergraben. Kurz vor Weihnachten 1980 wurde der Körper des Mädchens vom Sohn eines örtlichen Försters entdeckt.
Am 21. Dezember 1980 wurde Adler verhaftet, nachdem drei Personen unabhängig voneinander seine Stimme identifiziert hatten. Die Tonbandaufnahme von einem seiner Anrufe war in Rundfunk und Fernsehen gesendet worden. Bei einer Hausdurchsuchung in Adlers Haus wurden Blutspritzer an einigen Regalen im Keller entdeckt, deren Blutgruppe der von Cornelia entsprach. Außerdem zeigte sich, dass die an ihre Eltern verschickten Erpresserschreiben mit seiner Schreibmaschine angefertigt worden waren.
Der Prozess gegen Adler begann am 8. Februar 1982. Er gestand schließlich die Tat und wurde wegen Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und versuchter räuberischer Erpressung zu lebenslanger Haft verurteilt und in die JVA Mannheim überstellt. Als Motiv für die Entführung gab er hohe finanzielle Schwierigkeiten an, die Tötung von Cornelia begründete er damit, dass er sie zum Schweigen bringen musste, um nicht selbst verraten zu werden.
Nach mehreren Jahren Haft gelangte Adler um 1985 zu der Auffassung, dass der Tod dem Leben im Gefängnis vorzuziehen sei. Da er seine Möglichkeiten zur Selbsttötung ablehnte, beantragte er ab 1986 erfolglos staatliche Beihilfe zum Suizid bei diversen Gerichten.
Adler wurde 2005 aus der Haft entlassen.

Ursula Herrmann

Ursula Herrmann

"Das Kind in der Kiste", wie die Entführung von Ursula Herrmann im Jahr 1981 später bei Aktenzeichen XY genannt wurde, war ein spektakulärer Fall, der große mediale Aufmerksamkeit erzeugte. Wie auch beim Entführungsfall Cornelia Becker im Jahr zuvor berichteten alle großen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine täglich darüber und ganz Deutschland hoffte auf ein gutes Ende. Niemand ahnte, dass diese Tat noch grausamer ausgehen würde.
Viele Menschen können sich noch heute gut an den Fund der Kiste erinnern, aber die wenigsten wissen, was die Ermittlungen ergaben.

Der Ammersee ist als gemeindefreies Gebiet Eigentum des Freistaates Bayern. In den 70er Jahren entwickelte sich die Region sowohl kulturell als auch landschaftlich weiter und viele Menschen entdeckten die Schönheit und die Möglichkeiten des Sees für sich. Die Region bot Badeplätze, Gastronomie und die Möglichkeit, die Natur zu genießen. Die längste Seepromenade Deutschlands am Ammersee lud zu Spaziergängen und Ausflügen ein, und die Sonnenuntergänge galten als besonders sehenswert.

Eching am nördlichen Rand des Ammersees ist eine Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Landsberg am Lech und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Schondorf am Ammersee. Die Gemeinde grenzt direkt an das große Naturschutzgebiet Ampermoos und das bewaldete Erholungsgebiet „Weingarten“ mit Strandbad, Liegewiesen, Segelclub und Spielmöglichkeiten für Kinder. Am Anfang der 80er Jahre zählte Eching nur etwa 500 Einwohner und war ein idylischer, sicherer Ort, in dem man die Haustür nicht abschließen musste.

Ammersee in den 80er Jahren, Quelle: unbekannt

Lernen mit Kopf, Herz und Hand
- Leitbild des Landheims Schondorf

Mitten in diesem Idyll befindet sich das Landheim Schondorf (bis 2018 Landeserziehungsheim Ammersee), ein Elite-Internat mit zwei Gymnasien und eigenem Bootssteg direkt am Ammersee. Die Lage ermöglicht Sportarten wie Rudern, Segeln, Surfen und Kajakfahren, Schulsport Nummer eins ist Hockey. Das Landheim hat den Anspruch, eine ganzheitliche Ausbildung und Erziehung zu vermitteln, dazu gehören neben dem breiten schulischen Angebot ein vielfältiges pädagogisches Ergänzungsprogramm aus Werkstätten, Sportprogrammen sowie internationalen Projekten. Wer sein Kind auf dieses Internat schicken will, muss gut verdienen.

Die Familie Herrmann gehörte nicht zur reichen Elite, sondern war bodenständig und naturverbunden. Der Vater Michael war Lehrer mit großem musikalischem Interesse, die Mutter Anneluise kümmerte sich als Hausfrau um die vier Kinder. Die Familie lebte in einem Haus mit großem Grundstück und Apfelbäumen – ein kleines, selbstgeschaffenes Paradies. Die zehnjährige Ursula, das Nesthäkchen, wurde als Sonnenschein beschrieben: ein heiteres, fröhliches Mädchen. Angeleitet durch den Vater spielte auch sie wie ihre Geschwister Klavier. Im Dorf wurde sie 'Ursl' genannt.

Dienstag, der 15. September 1981, war der erste Schultag nach den Sommerferien. Ursula besuchte nicht das Landheim, sondern war gerade aufs staatliche Gymnasium gewechselt und radelte nach dem Turnunterricht gegen 18:45 Uhr noch zu Onkel und Tante in Schondorf zum Abendessen und spielte mit ihrer Cousine.

Gegen 19:30 Uhr machte sich das Mädchen mit ihrem roten Rad auf den Heimweg nach Eching und nahm wie immer einen Schleichweg durch das Waldgebiet „Weingarten“, den sie in- und auswendig kannte. Für die Strecke brauchte sie etwa 5 Minuten. Doch zu Hause kam sie nie an.

🔗 Ursula ist nicht das einzige Mädchen, das verschwand, als es allein mit dem Rad unterwegs war. Auch Jane Fränzke und Seike Sörensen ereilte in einer sehr beschaulichen, dörflichen Umgebung dasselbe Schicksal.

Ursulas Rad, Quelle: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Um kurz nach 20 Uhr machte sich Ursulas Mutter Sorgen und rief bei der Schwägerin in Schondorf an. Ihre Tochter war jedoch längst losgefahren. Vater und Sohn Herrmann machten sich umgehend auf die Suche am Waldweg, nach einer halben Stunde alarmierte Anneluise die Polizei, die sofort reagierte. Zahlreiche Beamte rückten an, auch die Freiwillige Feuerwehr, Nachbarn und Freunde halfen bei der Suche nach dem Mädchen.

Gegen 23 Uhr wurde das rote Fahrrad im Wald gefunden, von Ursula jedoch konnte keine Spur entdeckt werden. Damit war klar: Das Mädchen hatte keinen Unfall gehabt, es musste verschleppt worden sein.

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Verkehrsfunk-Jingle Bayern 3

Zwei Tage nach dem Verschwinden, am 17. September 1981, gingen seltsame Anrufe bei der Familie Herrmann ein. Am anderen Ende der Leitung meldet sich niemand, nur eine Erkennungs-Melodie des Radiosenders Bayern 3 ertönte. Es war der Verkehrsfunk-Jingle, der jede halbe Stunde gepielt wurde. Siebenmal klingelte das Telefon an diesem Donnerstag, vier weitere Male am Freitag, den 18. September.

Wir haben ihre Tochter entführt, wenn Sie sie jemals lebend wiedersehen wollen, zahlen Sie zwei Millionen Mark Lösegeld.

Der zweite Brief

Am Donnerstagmittag traf ein Erpresserbrief ein, gebastelt aus Zeitungsschnipseln. Wie im Fall Cornelia Becker wurden zwei Millionen Mark für die Freilassung verlangt. Beim letzten Anruf am Freitag verlangte die Mutter ein Lebenszeichen ihrer Tochter, das aber nie kam. Am Montag folgte ein weiterer Brief mit genauen Instruktionen: Der Entführer wollte das Geld in gebrauchten Hundertmarkscheinen in einem gelben Fiat 600 erhalten. Man würde sich per Telefon melden, wann der Vater losfahren solle.

↓ Erpresserbrief 1

wir haben ihre Tochter entführt wenn Sie Ihre Töchter jemals lebend wiedersehen wollen Zahlen Sie Zwei Millionen Mark Lösegeld Wir wollen das geld in Gebrauchte hundert DM scheinen wo und wie das geld übergeben werden sollte wurde in einen spätere zeit in einer brief oder telefonisch Mitgeteilt wir werden Ihnen am Donnerstag anrufen Am diese Telefonnummer 389 wir werden uns mit pfeifton melden Sagen Sie nur so viel Sie zahlen oder Sie zahlen nicht Wenn Sie Die Polizei in das Fall Einschalten oder Wenn Sie nicht zahlen wir werden den Entführter töten Wenn Sie zahlen 6 Stunde nach Denn geldübergabe kommt Ihre Töchter Frei

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↓ Erpresserbrief 2

Sie haben Ihre zahlungsbereitschaft Am Telefon mitgeteilt Das Geld Übergabe könnte nur mit eine Gelb Farbige Fiat 600 stattfinden Wie schon geschrieben wir Brauche das Geld nur in Gebraucht Hundert Mark scheinen Halten sie das geld in eine Koffer bereit wir werden sie Anrufen nach unsere telefon anruf Fahren Sie mit Ihre Wagen und Mit das Geld sofort los Wir werden Am Telefon Genau sagen wohin Fahren Sie nur allein und nicht schneller als 90 km/h Halten Sie ein Genau unsere Anweisungen Machen sie kein fehler Wir werden Sie von Mehreren stellen beobachten Wenn Sie die Polizei in das fall Einschalten Wir werden das Geld nicht übemehmen und Sie werden Ihr Kind lebend nicht wiedersehen wenn wir Das Geld ungestört entnehmen können 6 Stunde nach Der geldübergabe kommt ihre Tochter frei Nochmal Keine Polizei bei Geringste polizeilicher bewegung ist ihr Tochter tot

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Die Eltern Herrmann waren alles andere als vermögend, schafften es aber, sich das Geld kurzfristig von Nachbarn und Freunden zu leihen. Ein gelber Fiat 600 war fast noch schwerer aufzutreiben, wurde der Polizei aber schließlich von einer privaten Besitzerin im Ort Welden (ca. 30 km westlich des Ammersees und 20 km südlich von Landsberg) zur Verfügung gestellt und von den Beamten "präpariert".

Doch die Herrmanns hören nie wieder von dem Entführer. Wochenlang herrschte Ungewissheit.

4. Oktober 1981: Fast drei Wochen nach der Entführung stießen Polizisten rund 800 m vom Weg entfernt mit einer Sonde im Waldboden auf etwas Hartes. Sie räumen eine sorgfältig mit Laub bedeckte Lehmschicht zur Seite und fanden eine in den Waldboden eingelassene Holzkiste: nur 139 cm hoch, 72 cm breit und 60 cm tief, Gewicht ca. 60 kg. Auf dem Deckel befanden sich sieben Riegel und ein Rohrsystem zur Belüftung.

Archivbild vom 5. Oktober 1981 - © Polizei

In der Kiste saß Ursula. Etwas zur Seite gerutscht, den Kopf nach oben gerichtet, einen Jogginganzug in einer Plastiktüte auf dem Schoß. Sie war tot und vermutlich bereits kurz nach der Entführung erstickt – das Belüftungssystem hatte versagt. Eduard Zimmermann bezeichnete die Fotos davon später als das Schlimmste, was er in 35 Jahren XY erlebt hatte.

In der Kiste befanden sich eine kleine Bank, ein Eimer für die Notdurft, einige Tafeln Schokolade, Kekse, Getränke, ein Radio, dazu 21 Comics, Western- und Liebesromane. Die Konstruktion selbst war im Waldboden eingebuddelt, daneben eine Autobatterie, die eine kleine Lampe mit Strom versorgte. Die Ermittler legten sich später fest, dass die Kiste frühestens Anfang September vergraben worden war.

Die Gemeinde Eching stand unter Schock: Aus dem Postkarten-Idyll am Ammersee war plötzlich eine grausame Szenerie wie in einem Krimi geworden. Ursula wurde am Freitag, den 9. Oktober 1981 unter großer Anteilnahme auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt.

Augsburger Allgemeine

Die Familie von Ursula Herrmann war nachhaltig traumatisiert und suchte Trost im Glauben.
Ein ehemaliger Spiel- und Schulkamerad von Ursula erinnert sich vier Jahrzehnte später, dass eine psychologische Betreuung für die Kinder, die sie gekannt hatten, nicht angeboten wurde. Aus heutiger Sicht findet er, dass das dringend notwendig gewesen wäre. Die Kinderseelen waren durch diese beispiellos grausame Tat furchtbar verwundet und statt sie zu heilen, wurden sie von den Plakaten und dem Bild der „Kiste“ verfolgt. Er wusste ganz schnell nicht mehr, wie Ursula eigentlich ausgesehen hatte – da war nur noch das Foto von den Plakaten. Die Kinder sprachen untereinander nicht darüber, was passiert war. Trafen sie im Dorf auf die Eltern Herrmann, versuchten sie ihnen aus dem Weg zu gehen.

Der ermittelnde Oberstaatsanwalt sprach später von einem "Spurenvernichtungskommando" - die Spurensicherung am Tatort war ein Fiasko. Hunderte von Menschen trampelten um die vergrabene Kiste herum und fassten sie auch an.

Die forensische DNA-Analyse ist eine der wichtigsten Methoden in der Kriminaltechnik, um Spuren zu sichern und Täter zu überführen. Die Technologie hat sich stetig weiterentwickelt und seit einigen Jahren ist auch die erweiterte DNA-Analyse (Phänotypisierung) erlaubt, um Aussagen über äußere Merkmale wie Haar-, Haut- oder Augenfarbe sowie Alter zu treffen.
In Deutschland ist dieses Werkzeug erst seit den späten 1980er Jahren im Einsatz. Die DNA-Analysedatei (DAD) des Bundeskriminalamtes (BKA) wurde 1998 eingeführt und speichert DNA-Profile von Straftätern und Tatorten, um Verbindungen zwischen verschiedenen Fällen herzustellen oder Täter zu identifizieren.

Im Zusammenhang mit dem Tod von Ursula konnten erst Ende der 90ern mehr als 100 DNA-Spuren ermittelt und untersucht werden. Die meisten Gen-Spuren stammten von Ermittlern. 2005 wurden mehrere Haare, die man seinerzeit in der Kiste gefunden hatte und die nicht von Ursula Herrmann stammten, mittels DNA-Analyse untersucht. Der genetische Abdruck gehörte zu einem Kriminaltechniker, der mit dem Fall befasst gewesen war.

Dreimal präsentierte Eduard Zimmermann den Fall und auch die Kiste in Aktenzeichen XY, jedes Mal gab es unzählige Hinweise - keiner davon führte zum Täter. Die Polizei überprüfte fast 20.000 Fingerabdrücke, 15.000 Personen, 11.000 Fahrzeuge und verfolgte mehr als 40.000 Spuren. In einem Zeitraum von fast 30 Jahren wurden mehr als 300 Aktenordner zu den Ermittlungen gefüllt.

Klingeldraht mit Verbindungsstellen

Ein Beweisstück wurde vernachlässigt: Am Seeweg in der Nähe des Entführungsorts hatten die Ermittlern im Oktober 1981 einen sogenannten Klingeldraht bemerkt, der auf einer Höhe von etwa 2.50 Meter zwischen Bäumen im Waldgebiet „Weingarten“ angebracht war. Die Polizei brachte den grünen Draht allerdings nicht mit der Tat in Verbindung, sondern ließ ihn zurück. Er sollte erst einige Monate später eine Rolle spielen - als er verschwunden war.

Die Menschen in der Region waren entsetzt von dem Gedanken, dass "einer von ihnen" eine solche Tat vollbringen könnte. Sie wollten wissen, wer das Mädchen getötet hatte und betrachteten argwöhnisch ihre Nachbarn. Wer war in irgendeiner Art und Weise auffällig?

Schon bald standen Tatverdächtige fest: Die Aussenseiter Werner Mazurek, Klaus Pfaffinger und der Ex-Polizist Harald W.

Unterstützergruppe Werner Mazurek

Werner Mazurek, ein Fernsehtechniker Anfang 30, war ein entfernter Nachbar der Herrmanns und wohnte seit 1973 in einem angemieteten Einfamilienhaus in Eching. Seine spätere Frau hatte bei den Herrmanns geputzt, auch die Kinder der Familien kannten sich vom gemeinsamen Spielen.

Im Jahre 1975 hatte Mazurek sich selbständig gemacht und am Ammersee eine „Fernsehklinik“ eröffnet. Zum 31.05.1980 musste er seine Firma aufgeben, nachdem ihm die Bank die Kredite gekündigt hatte, am 17.07.1980 musste er die eidesstattliche Versicherung ablegen. Seine damalige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau hatte am 01.06.1980 eine GmbH gegründet und Mazurek als Geschäftsführer und ausführenden Techniker beschäftigt.

Nebenbei bereitete er alte Autos auf, machte Geschäfte mit Firmen in der damaligen DDR und begleitete seinen Bekannten auf dessen Verkaufsfahrten. Die finanzielle Lage blieb weiterhin angespannt, im Jahr 1981 gingen 16 Vollstreckungsaufträge gegen ihn ein. Eine Verbesserung war nicht in Sicht, Mazurek lebte über seine Verhältnisse und kaufte beispielsweise im Spätsommer 1980 einen Krabbenkutter, um über die Donau ins Schwarze Meer zu fahren.

Mazurek war kein Sympathieträger im Dorf, sondern ein grober und unfreundlicher Mensch, ausserdem ein 'Zugezogener'. Es war nicht verwunderlich, dass am 08. Oktober 1981 ein vertraulicher Hinweis bei der Polizei auf ihn und seine Schulden einging.

Er wurde am 11. Oktober 1981 bei der Polizei vorgeladen. Bei der Vernehmung konnte er sich nicht erinnern, was er am 15.09.1981 gemacht hatte. Er wusste auch nicht, wie er die Folgetage verbracht hatte und gab an, das Weingartengebiet nur flüchtig zu kenne. Er kündigte an, seine Freunde und seine Frau zur Rekonstruktion der einzelnen Tagesabläufe zu befragen.

Am 12.Oktober 1981 erschien Mazurek gegen 8.30 Uhr auf der Dienststelle und diktierte eine von ihm selbst verfasste detaillierte Stellungnahme zu seinen Tagesabläufen von Dienstag, den 15.09.1981 bis Freitag, den 18.09.1981. Er führte seine Frau und diverse Bekannte an, die sein Alibi bestätigen konnten.

Ende 1981 durchsuchten Kripo-Beamte Mazureks Haus und fanden keine einzige Spur, die zu der Kiste passte, aber eine Schreibmaschine. Es gab insgesamt zwei Erpresserbriefe, beide bestanden aus ausgeschnittenen Buchstaben/Wörtern aus verschiedenen Zeitungen. Die Adresse des ersten Briefes war auf einer Schreibmaschine getippt worden - Modell Olympia. Mazurek wurde festgenommen, kam aber wieder frei, da ein Gutachten zur Schreibmaschine nicht eindeutig war. .

AZ, 27.1.1982

Am 26. Januar 1982 wurde Mazurek erneut verhaftet. Die Schreibmaschine war ein zweites Mal untersucht worden, das neue Gutachten hatte ergeben, dass Buchstabenabstände und Druckeigenschaften mit denen des Erpresserbriefs übereinstimmen könnten. Der Verdacht gegen ihn schien sich zu erhärten, man konnte allerdings nicht nachweisen, ob er das Kind selbst entführt hatte, nur die Anschrift getippt hatte - oder überhaupt beteiligt war.

Auch dieses Mal kam Mazurek schnell wieder frei. Insgesamt wurde gegen ihn immer wieder bis zur Einstellung im Jahr 1991 ermittelt. Es konnte kein Beweis für seine Beteiligung an der Entführung von Ursula gefunden werden, er selbst stritt jeden Zusammenhang ab.

Klaus Pfaffinger war damals 37 Jahre alt, Kfz-Mechaniker von Beruf, zuletzt hatte er als Beleuchter beim Fernsehen gearbeitet, 1981 war er arbeitslos. Am 6. Oktober 1981, zwei Tage nachdem Ursula Herrmann tot aufgefunden wurde, ging bei der Polizei ein Hinweis eines Hausbesitzers aus dem Dorf Windach ein. Er habe gesehen, dass sein Mieter Klaus Pfaffinger am Morgen des 15. September 1981 das Haus verlassen und abends gegen halb neun zurückgekommen sei, jeweils mit einem am Moped befestigten Spaten. Pfaffinger wurde kurz befragt, hatte kein Alibi für die Tatzeit, aber es gab auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass er etwas mit der Entführung zu tun hatte.

Ende Januar 1982 wurde Werner Mazurek zum zweiten Mal festgenommen und verhört. Bei dieser Gelegenheit erinnerte sich die Polizei auch wieder an Pfaffinger: Es stellte sich heraus, dass er einige Male einen Gebrauchtwagen mit ungedeckten Schecks bezahlt hatte, einer der betrogenen Verkäufer war Mazurek. Seitdem kannten sich die beiden Männer nachweislich.

Zeugen sagten nun aus, sie hätten Pfaffinger nicht nur einmal, sonder vier- oder fünfmal mit einem Spaten am Moped gesehen. In der Kiste, in der Ursula Herrmann tot aufgefunden wurde, lag ein Stück eines blau-weiß gestreiften Bettlakens. In einer Halle bei dem Anwesen, wo Pfaffinger wohnte, fand sich ein ganz ähnliches Stück Stoff in einer alten Badewanne. Im Keller von Pfaffingers Wohnung lagen stapelweise alte Bild-Zeitungen - die Erpresserbriefe waren aus ausgeschnittenen Buchstaben zusammengesetzt.

Am 25. Februar 1982 fand eine Hausdurchsuchung bei Pfaffinger statt, am gleichen Tag wurde er zum ersten Mal vernommen. Gleich zu Beginn der Vernehmung wurde offenkundig, dass er ein größeres Alkoholproblem hatte. Die angeblichen Fahrten mit dem Spaten erklärte er damit, dass er den Spaten zu seiner Schwiegermutter gebracht habe, die den Garten umgraben wollte.

Am nächsten Tag gestand er schließlich, dass er in der Zeit vom 5. bis zum 9. September 1981 im Auftrag von Mazurek ein Loch im Wald gegraben habe und wenige Tage später sogar gesehen hätte, dass in diesem Loch eine Holzkiste versenkt worden war. Mazurek hätte ihm für die Arbeit 1000 Mark und einen Farbfernseher versprochen, weder das eine noch das andere habe er bekommen.

Die Kriminalbeamten unterbrachen die Vernehmung und fuhren umgehend mit Pfaffinger zum Wald am Ammersee: Er sollte die Stelle zeigen, wo er das Loch gegraben hatte. Aber er fand die Stelle nicht und machte umgehend einen Rückzieher: Er erklärte nach dem Ortstermin, er habe alles nur erfunden.

Insgesamt 14 mal wurde Pfaffinger vernommen, jedoch ohne Ergebnis. Bei einem Termin im März 1982 gab er an, Vögel pfeifen und Engel singen zu hören. Der damals zuständige Oberstaatsanwalt beschrieb ihn später als einen notorischen Alkoholiker, der völlig wirr gewesen sei und für ihn als ernstzunehmender Zeuge nicht in Frage gekommen war.

Am 29. Juni 1992 starb Pfaffinger. Seine damalige Ehefrau, inzwischen 79 Jahre alt, wurde im Januar 2008 noch einmal von der Polizei vernommen. Sie sagte: "Der Klaus war ein fauler Kerl. So etwas hätte er nie gemacht." Mazurek schloss sich dieser Aussage an und meinte lapidar, dass um das Loch 25 Bierflaschen hätten liegen müssen, wenn Pfaffinger das Loch gegraben hätte.

Anfang der 90er war die Spur zu Werner Mazurek und Klaus Pfaffinger tot.

Harald W.

Mitte der 80er hatten die Ermittler einen neuen Hauptverdächtigen im Visier: Den ehemaligen Polizisten Harald W. und als potentiellen Mittäter dessen Freund Horst F., ebenfalls ein Polizist. Ein Jahr lang wurden die Telefone der beiden abgehört.

Vieles sprach für Harald W.: Er war Jagdberechtigter im Waldgebiet Weingarten und konnte dort beliebig agieren, ohne Verdacht zu erregen. Er hatte einen Transporter, der zur Tatzeit an der Zufahrt zum Wald gesehen worden war, Schlüssel zu allen Schranken und nutzte einen Hochsitz nahe der Vergrabungsstelle. Er hätte Aktivitäten anderer Leute in diesem Waldstück bemerken müssen, besonders das Graben des Loches für die Kiste.

Als Ex-Polizist kannte Harald W. die Arbeitsweise der Polizei und hatte in seinem Beruf einen Fernmeldelehrgang absolviert, bei dem genau die für den Klingeldraht verwendeten Drahtverbindungen unterrichtet wurden. Als er von Beamten zur Vergrabungsstelle geführt wurde, brach er schwitzend fast zusammen und wollte von dem Ort so schnell wie möglich wieder weg. Die Ermittlungen gegen ihn und Horst F. wurden 1989 eingestell, verhaftet wurden beide nie.

Harald W. starb im Juli 1995 an Magenblutungen in Folge von Alkoholismus.

3 Tatverdächtige, kein Täter.
In Teil 2 geht es um weitere Spuren, Verdächtige und das Elite-Internat am Ammersee.

© Alle Rechte liegen bei Piri Robinson.
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