Deborah Sassen (8), genannt Debbie, verschwand am 13. Februar 1996 in Düsseldorf nach dem Schwimmunterricht spurlos. Um 12 Uhr wurde sie zuletzt gesehen, bis zum Elternhaus sind es nicht mal 1.000 Meter. Aber Debbie kam nie zu Hause an.

Debbie Sassen

Debbie Sassen

13.02.1996
Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens kann Deborah Sassen wie folgt beschrieben werden:
Alter: damals acht Jahre
Größe: 1,20 Meter
Haare: hellblond, glatt, schulterlang
Statur: schlank
Kleidung
rote, gemusterte Strumpfhose
roter Rock
bunte Weste
rote, lange Jacke/Mantel
hohe, schwarze Schnürschuhe
Sie führte folgende Gegenstände mit sich:
schwarzer Schulranzen, Turnbeutel

Der Stadtteil Wersten liegt im Düsseldorfer Süden etwa auf halbem Wege zwischen der Stadtmitte und Benrath und gehört zum Stadtbezirk 9. Er steht aufgrund seiner vielfältigen Wohn- und Freizeitmöglichkeiten besonders bei jungen Familien hoch im Kurs. Hauptverkehrs- und Einkaufsstraße Werstens ist die Kölner Landstraße, die sich von Düsseldorf-Holthausen bis zum Provinzialplatz erstreckt.

Im Kohlrauschweg in Wersten reiht sich ein Einfamilienhaus an das nächste. Eine der jungen Familien, die 1996 dort lebte, war Familie Funke: Jürgen, Dagmar, die damals 15-jährige Anita und die 8-jährige Deborah, die von allen 'Debbie' gerufen wurde. Sie waren gerade erst von Meerbusch nach Düsseldorf gezogen.

Jürgen Funke lernte Dagmar kennen, als die kleine Debbie noch krabbelte. Er fütterte das Kind und half ihm beim Laufenlernen. Debbie nannte den Stiefvater 'Papa', auch wenn ihr Nachname immer noch 'Sassen' war. Sie war ein unbeschwertes, lustiges Mädchen mit der Lieblingsfarbe Rot, malte und bastelte gerne, hatte ein eigenes, großes Kinderzimmer, das sie mit Hamster Rosie teilte.

Dienstag, der 13. Februar 1996, war ein kalter Tag mit vereinzelten Schneeregenschauern. Jürgen arbeitete als Krankenpfleger, Dagmar in einer Saftbar. Sie musste früh los, ging zuvor noch leise in Debbies Kinderzimmer und streichelte ihrer schläfrigen Tochter über die hellblonden Haare. Um kurz vor 8:00 Uhr machte sich Debbie auf den Weg zur Schule.

Hinterausgang der Grundschule - hier wurde Debbie zuletzt gesehen. © Polizei Düsseldorf

Debbie besuchte die 2. Klasse der Henri-Dunant-Grundschule am Rheindorfer Weg und hatte sich nach dem Umzug gut eingewöhnt. Gegen 12:00 Uhr, nach dem Schwimmunterricht, lief sie noch kurz in die Schule, um ihren Ranzen zu holen, verließ das Gebäude durch den Hinterausgang und machte sich allein auf den Heimweg, knapp elf Minuten zu Fuß. Eine Mitschülerin sah sie dort noch kurz.

Als ihre Mutter mittags von ihrem Arbeitsplatz auf der Kö in Düsseldorf nach Hause kam, lief Anita ihr entgegen. "Debbie ist nicht da", sagte sie. Dagmar rief sofort in der Schule an und erfuhr, dass ihre Tochter wie immer vom Schulhof gegangen sei. Sie telefonierte die Klassenliste und Freundinnen durch. Nichts. Jürgen ging den Weg zur Grundschule ab, lief die Straße zurück, schaute in Büsche, in Mülltonnen, in den Bach hinter der Schule. Nichts.

Um 14:40 Uhr alarmierte Jürgen die Polizei.

Düsseldorfs Polizei begann umgehend mit der längsten und größten Suchaktion ihrer Geschichte. 200 Polizisten schwärmten im Süden der Landeshauptstadt aus. Sie baten über die Lautsprecher von elf Streifenwagen die Bevölkerung um Hinweise, durchkämmten mit 30 Spürhunden den Botanischen Garten sowie die Lauben von Kleingärtnern und setzten einen Hubschrauber mit Infrarotsichtgerät ein.

Aus 40 Frauen und Männern wurde die "Soko Wersten" gebildet und 6000 Mark Belohnung ausgelobt. In Bussen und Straßenbahnen wurden 2000 Flugblätter verteilt, Taucher der Berufsfeuerwehr stiegen in den Brückerbach, dessen Wasserspiegel für die Suche abgesenkt worden war. Sie zwängten sich unter dem Autobahnkreuz durch zwei 300 Meter lange Tunnelröhren und tauchten durch ein "Entenloch" in den zugefrorenen Teich auf dem Gelände der Bundesgartenschau.

Eine anonyme Anruferin teilte über Notruf mit, dass ihr Hund in einem Komposthaufen im Volksgarten die Hand einer Leiche freigescharrt habe. Die Suche danach, sogar nachts bei Scheinwerferlicht, blieb ergebnislos.

49 Tage nach dem Verschwinden führte ein anonymer Brief die Polizei zum Halterner Stausee. Der Briefschreiber wollte seinem besten Freund angeblich dabei geholfen haben, Debbies Leiche am Südufer des Sees zu versenken. Die Polizei suchte 5 Tage lang See und Umgebung ab. Gefunden wurde nichts – es stellte sich heraus: Der Hinweisgeber, ein Theologiestudent, hatte sich einen makabren Scherz erlaubt. Er musste die gesamten Kosten des Einsatzes tragen.

Schließlich gerieten die Eltern selbst ins Visier der Ermittler und mussten sich Verhören stellen. Beide hatten ein Alibi, Jürgen konnte mit einer Einkaufsquittung belegen, dass er zur Tatzeit nicht in der Nähe der Schule war. Sie heuerten den Privatdetektiv Dietmar Wagner an, aber auch er brachte keine neue Erkenntnis. Neun Monate später wurde Debbies Foto auf Milchtüten gedruckt. Nichts.

Debbies Mutter Dagmar, Quelle: Unbekannt

Die Sonderkommission im Präsidium, rund um die Uhr besetzt, entschied sich für einen bisher in Deutschland einmaligen Weg der Fahndung: Die Puppe auf den Plakaten sah aus wie das Mädchen. Der Schulranzen und die Kleidungsstücke wurden nach Angaben der Eltern bei Herstellern nachgekauft. Die gemusterte Strumpfhose und der Mantel, den schon Debbies Schwester Anita getragen hatte, wurden nach Fotografien originalgetreu angefertigt. Ihr Kopf wurde am Ende von einem Foto eingefügt.

Nach einem Hinweis verteilte die Polizei Phantombilder eines Mannes mit Schnauzbart und Brille: Er war am Tag, als Debbie verschwand, mit einem hellbraunen oder beigen Auto bei der Henri-Dunant-Schule gesehen worden.

Es gab 80 Hinweise auf den Unbekannten, aber nicht den ersehnten Erfolg.

Am 20. Januar 1997 erhängte sich der 44-jährige Norbert Holtkamp in seiner Zelle, nur einige Wochen bevor vor dem Schwurgericht in Siegen der Prozess gegen ihn begonnen hätte.

Holtkamp hatte zwischen Februar und Juni 1996 eine Frau sowie zwei 12-jährige Mädchen vergewaltigt und die 6-jährige Elmedina in Burbach-Wahlbach bei Siegen nach dem Kindergarten abgefangen, vergewaltigt und erstickt. Er kam für Verbrechen in ganz Nordrhein-Westfalen in Betracht und fuhr unter anderem einen beigen Volvo 242 L. Durch seinen Suizid konnte kein Zusammenhang mit dem Verschwinden von Debbie hergestellt werden.

Wurde Debbie nach Belgien verschleppt? Gab es sogar einen Zusammenhang mit Marc Dutroux?

Drei Jahre nach Debbies Verschwinden wollte ein privater "Kinderpornojäger" ein Foto von ihr in Lolitapose im Netz gefunden haben. Dagmar glaubte, ihr Kind zu erkennen, sogar ein forensischer Gesichtsabgleich brachte Übereinstimmungen. Sie reiste nach Belgien, um mit diesem Mann zu sprechen. Es stellte sich schnell heraus: Das Mädchen auf dem Bild war nicht Debbie, das Foto stammte aus einer englischen Kinderzeitschrift aus dem Jahr 1977. Der Hinweisgeber selbst, Marcel Vervloesem, wurde im Mai 2006 wegen sexuellem Missbrauch Minderjähriger zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Vier Wochen nach dem Verschwinden ging Dagmar morgens in Debbies Kinderzimmer und stellte fest, dass Rosie, ihr Hamster, tot war. Als Jürgen abends nach Hause kam, fand er seine Frau in Debbies Kleiderschrank. Sie hatte Schlaftabletten geschluckt, aber sie lebte. Er brachte Dagmar in die Psychiatrie, die Ärzte untersuchten ihre Reflexe, das Blut, den Urin, machten einen Schwangerschaftstest: Das Ergebnis war positiv. Im Dezember 1996 kam Tochter Lucie zur Welt, ein Jahr später Nora.

Trotzdem zerbrach Dagmar innerlich immer mehr, besonders als im Oktober 1999 ihre Welt erneut unterging. Die älteste Tochter Anita, die seit Debbies Verschwinden Antidepressiva nahm und nie über den Verlust hinweg kam, hatte sich mit 19 Jahre auf dem Dachboden erhängt. Sie hinterließ keinen Abschiedsbrief.

Damit begann ein Strudel der Ohnmacht: Dagmar trank immer mehr Alkohol, schluckte Valium, erkrankte an Bulimie. Sie litt unter starken Depressionen, beging mehrere Suizidversuche. Drei Jahre nach Anitas Freitod lief Dagmar einfach davon. Sie trennte sich von Mann und ihren beiden kleinen Töchtern, zog 2002 ohne sie nach Heiligenhafen (Schleswig-Holstein).

Jürgen erzog Lucie und Nora allein, er arbeitete und kochte für sie. Und machte schließlich eine Trauma-Therapie. Er schaffte es, die Erinnerungen an Debbie in eine Kammer zu bannen und abzuschließen.

Jürgen glaubt nicht mehr daran, Debbie jemals wiederzusehen und empfindet das wie einen Verrat an ihr. Nur ganz selten hat er noch Hoffnung, wenn ein lange vermisstes Kind wie Natascha Kampusch wieder auftaucht.

Dagmar Funke hat Halt in der Kirchengemeinde gefunden und glaubt immer noch fest daran, dass Debbie lebt. Sie fragt sich, wie ihre Tochter heute wohl aussieht. Manchmal besucht Debbie sie in ihrem Garten, ein 8-jähriges Mädchen mit blondem Pagenkopf. An guten Tagen redet sie mit Dagmar und lacht, aber viel häufiger ruft sie um Hilfe.

Computer-Simulation: So hätte Deborah Sassen fünf Jahre nach ihrem Verschwinden aussehen können

Der Fall Deborah Sassen ist ein Cold Case und gilt als ausermittelt.

© Alle Rechte liegen bei Piri Robinson.
Pressekontakt

Teilen bedeutet helfen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert