Jule Stinkesocke

8. Juli 2008

Ich bin im Krankenhaus, weil mich so eine dumme Kuh mit dem Auto plattgefahren hat. Das war an einer Fußgängerampel und ich hatte Grün. 

Jule Stinkesocke (oder Klarname Julia Gothe) aus Hamburg-Lurup überlebt 2008 als 15-jährige einen schweren Autounfall und liegt monatelang auf der Intensivstation. Sie bleibt querschnittgelähmt. Noch im Krankenhaus macht sie sich viele Gedanken über ihre Zukunft: Wo wird sie wohnen? Wovon soll sie leben? Wird sie neue Freunde finden? Welcher Mann will sie so?

Jule sagt sich schließlich komplett von ihren Eltern los, die mit der Situation überfordert sind und fängt ein neues Leben mit der Behinderung im Rollstuhl an. Allein. In einem Blog, später auf Twitter, schreibt sie über die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert wird, Ableismus, Inkontinenz, ihre Sexualität, aber auch über neue Freunde, ihren Sport, der sie aus dem größten Tief holt, die Schule, später das Studium und den Weg zu ihrem Traumberuf: Kinderärztin.

Mit ihrer Geschichte inspiriert sie 15 Jahre lang zehntausende Menschen. 2023 lebt sie mit ihrer besten Freundin Marie, die ebenfalls im Rollstuhl sitzt und dem gemeinsamen Pflegekind Helena, die eine Cerebralparese hat, im eigenen Haus an der Ostsee. Ihr Blog 'Aus dem Leben einer Stinkesocke' umfasst 1.120 Beiträge, dazu kommen zehntausende Tweets.

Die Medien haben schnell Interesse an der ungewöhnlichen jungen Frau: Jule bekommt Anfragen für Reportagen und Dokumentationen, wird zu Talkrunden eingeladen. Sie lehnt immer ab, anfangs ist sie zu schüchtern, später kommt die Angst vor Stalkern dazu. Aber sie äußert sich schriftlich, manchmal auch über einen Mittelsmann, und erhebt im Web an vielen Stellen ihre Stimme.

Medien-Timeline

Jules Vita

Aus Jules Blogposts und Tweets kann man eine genaue Vita konstruieren:

Zweifel

Jules Geschichte wird von den Menschen als inspirierend und motivierend empfunden, sie selbst als „Kraft für die Inklusion Behinderter“. Doch im Laufe der Jahre kommen auch immer leise Zweifel auf. Einige Punkte sind angreifbar, andere wenig glaubwürdig, seien es ihre Erfolge im Paratriathlon, das Medizinstudium nach der 12. Klasse ohne Abitur oder die behinderte Helena, für die Jule problemlos die Pflegschaft bekommt.

Ihrer Beliebtheit tut das keinen Abbruch, bei allzu kritischen Nachfragen blockt Jule ganz einfach, wenn es ganz eng wird, hetzt sie zehntausende Follower auf die Zweifler oder droht mit ihrer Anwältin. Es fehlt das eine große Indiz, das ihre Existenz erschüttern kann.

2. April 2023

Juchu! @JuleStinkesocke kann stehen und gehen! Oh, Moment. Ist Jule nun die australische Kylie Harris von @abbywinters, oder wie?

Der Thread schlägt auf Twitter ein wie eine Bombe: Mehrere Profilbilder von Jule Stinkesocke sind von dem australischen Pornosternchen Kylie Harris geklaut. Weitere Unstimmigkeiten, vor allem auch in Bezug auf ihre Pflegetochter, deuten darauf hin, dass die Ärztin im Rollstuhl gar nicht existieren könnte. Und schnell wird klar: Niemand von den Millionen Bloglesern und fast 70.000 Followern hat Jule jemals gesehen oder mit ihr telefoniert, von Facetime ganz zu schweigen. Medienkontakte wie zu Aktion Mensch liefen über einen Mittelsmann, der auch in ihrem Impressum über 10 Jahre als Verantwortlicher stand und gemeinsam mit ihr einen Verein gegründet hatte: den 'Bund behinderter Blogger'.

Die Menschen kennen Jule Stinkesocke – aber niemand kennt Julia Gothe. Mit einer Ausnahme: Dem Mann aus ihrem Impressum.

Nach diesem Thread ist Twitter on fire: Kann es sein, dass Jule ein RealFake ist? Dass sie – oder er – ganze 15 Jahre lang ein komplettes Leben erfunden hat? Ihre Follower warten angespannt auf ein klärendes Statement, und bekommen es zwei Tage später.

Wenn ich jemanden kennenlernen würde, der sich eine Lebensgeschichte über 15 Jahre lang ausdenkt, dann würde ich denjenigen nur noch in den Arm nehmen und zuhören wollen.

Jules Ausführungen klären wenig, sondern werfen umso mehr Fragen auf. Wenige Stunden danach werden nicht nur das Statement, sondern auch ihr Blog, ihr Twitteraccount und der ihrer ebenfalls behinderten Pflegetochter Helena kommentarlos gelöscht. Jule verschwindet einfach und lässt die Menschen, die an sie geglaubt hatten, ratlos zurück.

© Alle Rechte liegen bei Piri Robinson.
Pressekontakt: presse@imperialcrimes.de